Dienstag, 4. August 2015

Toller Theaterabend in den historischen Mauern der Klosterruine


Seit mittlerweile 15 Jahren gastiert die Spiel- und Theaterwerkstatt Erfurt auf ihrer Sommertheater-Tour in Stadtroda. Im voll besetzten Innenraum der alten Klostermauern ging am Sonnabend „Parzival“ über die Bühne.
Erwartungsvoll hat sich das Publikum auf den Stufen des Ruineninnenraums eingerichtet, zum Teil auf mitgebrachten Stühlen.Foto: Carola Frindert Erwartungsvoll hat sich das Publikum auf den Stufen des Ruineninnenraums eingerichtet, zum Teil auf mitgebrachten Stühlen.Foto: Carola Frindert
Stadtroda. Die Geschichte ist alt, so alt wie die Spielstätte. Bis ins 13. Jahrhundert zurück lassen sich die Ursprünge der Gemäuer verfolgen, die noch heute vom Kloster der Zisterzienserinnen am Ufer der Roda künden. Und zu jener Zeit schrieb der Minnesänger und lyrische Dichter Wolfram von Eschenbach die Parzival-Handlung auf, die der Schweizer Autor Lukas Bärfuss, 1971 geboren und somit ein Kind des 20. Jahrhunderts, dramaturgisch verarbeitete.

Gekonnt den Bogen ins Heute gespannt

Unter der Regie von Stephan Mahn, theaterpädagogisch und theatertechnisch begleitet von den „alten Hasen“ Sabine und Hans Kappelt, führten die Absolventen der gerade zu Ende gegangenen Ausbildung Theaterpädagogik des Kinder- und Jugendpfarramtes und der Spiel-und Theaterwerkstatt Erfurt e.V. Samstagabend den Bärfuss-Parzival im Rahmen ihrer Sommertour zum sechsten und letzten Mal auf. Und beeindruckten mit der perfekten Balance zwischen Komik und Tragik, zwischen Unterhaltung und Erkenntnis. Parzival, vaterlos, von der Mutter überbehütet, in der Abgeschiedenheit einer einsamen Waldsiedlung aufgewachsen, startet unbedarft in die große Welt und stößt auf Hinterhältigkeit, Opportunismus und Berechnung. Mit der Maxime: „Ich habe gemacht, was man mir sagte“, bringt er es weit. Er wird in die Tafelrunde der Ritter aufgenommen und schließlich König der Gralsburg. Aber glücklich wird er nicht. „Ich hätte nie weggehen dürfen, hätte im Wald bleiben müssen, in meiner Heimat.“ Die Erkenntnis des tapsigen Kindskopfes ist ein Schlüsselsatz in dieser Umsetzung des schon vielfach interpretierten Stoffes. Die Erfurter Truppe legt den Akzent auf das Thema Heimat, konfrontiert damit das Publikum sehr direkt, geht in die Zuschauerreihen, stellt Fragen, lädt zum Kofferpacken ein. „Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum, als bliebe die Wurzel im Boden.“ Die Rezitation aus „Ziehende Landschaften“ von Hilde Domin spannt endgültig den Bogen ins Heute, in unsere Zeit, in der wir gefordert sind, mit Heimatlosen und Heimatsuchenden zu leben. Dass der ernste Hintergrund Vergnügen nicht in Frage stellt, ist das große Verdienst der facettenreich und engagiert agierenden Schauspielerriege, die dieses Mal auch live gesungen und musiziert hat. In der wie immer verblüffend einfachen Kulisse aus Holzpodesten, Gerüststangen, ein paar großen Tüchern und viele Schirmen entfaltete sich eine faszinierende Welt, die von der mit zunehmender Dunkelheit durch Lichteffekte ausgereizten Naturkulisse der Klosterruine profitierte Auf den Stufen hatte ein gut hundertköpfiges Publikum Platz genommen. Mit Szenenapplaus wurde gleich am Anfang eine der vielen Ideen honoriert, von denen die Aufführungen des kleinen Ensembles geprägt sind: mit wenig Aufwand, große Handlungsbögen spannen. Zum Beispiel durch das Stapeln von zunehmend größer werdender Kinderkleidung das Heranwachsen des Babys zum Jüngling darstellen. Genial die Szenen mit dem toten Mann, die Kuss-Episode, in der Liase dem Parzival angetraut werden soll oder die Tafelrunde mit den zu Lätzchen gebundenen Stoffservietten, die sich flugs in Nonnenhauben verwandeln lassen. Es wurde viel gelacht, es gab mehrfach Szenenapplaus und begeistert stimmte das Publikum in den Finalgesang ein. Während der Schlussszene allerdings herrschte atemberaubende Stille. Bemerkenswert und Indiz für die ungebrochene Aktualität des Phänomens geheimnisvoller, unsichtbarer Mächte, die als naive Helden daherkommen. Ende des Jahres übrigens beginnt ein neuer Ausbildungsgang Theaterpädagogik, offen für alle, die im beruflichen oder privaten Rahmen Theaterarbeit initiieren wollen.
Carola Frindert / 03.08.15 / OTZ
Z0R0010136783
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